Wenn das Glück des Anderen zum eigenen Unglück wird
WIESBADEN.- Warum ist Neid eigentlich so zerstörerisch? Darauf gab es beim ersten Abend der Reihe „Die Sieben Todsünden“ gleich eine ganze Reihe von Antworten – und auch Handreichungen, wie man den eigenen Neid in den Griff bekommen kann. Im Lauf des Abends wurde klar: In der Gesellschaft wird Neid oftmals gar nicht als negativ empfunden, sondern mehr als positiv, sogar produktiv. Er verliert immer mehr seine negative und „tödliche“ Konnotation, wird zur Triebfeder, um mehr zu erreichen, mehr zu bekommen. Durch die gesellschaftliche Desensibilisierung und die Säkularisierung der Sünden scheine es so, als habe der Neid seine Gefahr verloren, ja sei sogar erstrebenswert, um besonders erfolgreich zu sein, weshalb es umso wichtiger sei, ihn in seinen aktuellen Gerüsten zu entlarven, sagten Simone Husemann, Leiterin der Katholischen Erwachsenenbildung, und Diplom-Psychologe Ferdinand Mitterlehner.
Die Veranstaltungsreihe der Katholischem Erwachsenenbildung Wiesbaden-Untertaunus und Rheingau (KEB), der Katholischen Kirche Wiesbaden und dem Evangelischen Dekanat Wiesbaden widmet sich den sieben Todsünden, die von Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert formuliert wurden. Dabei geht es nicht darum, Sichtweisen des Mittelalters zu reproduzieren, sondern vielmehr darum, aktuellen und modernen Lastern der menschlichen Existenz auf die Spur zu kommen.
Zorn und Wut sind so zerstörerisch wie ein reißender Strom – gegen die Eifersucht aber verblassen sie beide!
Sprüche 27: 4
Dieser Gedanke der modernen Angewohnheit des Neids durchwebte vor allem die Diskussionsrunde mit dem Publikum nach dem Vortrag. Im Lauf des Abends griffen Husemann und Mitterlehner immer wieder gängige Narrative des Neids in der Gesellschaft sowie dessen Ursprünge auf. Ferdinand Mitterlehner konnte dabei nicht nur sein Wissen als Psychologe, sondern auch als Theologe einbringen. Das war ein Glück, denn die evangelische Pfarrerin Miriam von Nordheim-Diehl, die als Vertreterin der theologischen Sichtweise eingeladen gewesen war, musste krankheitsbedingt absagen.
Affen, die Trauben statt Gurken wollen
Interessanterweise komme das Wort „Neid“ kaum im Alten Testament vor, sagte Mitterlehner, eher noch im Neuen, obschon auch eher spärlich. Die Konzeptionierung dieser Sünde habe sich wohl erst durch die biblische Rezeption danach entwickelt. In diesem Zusammenhang bezeichnete Mitterlehner den Neid als „nicht nur rein kirchliches Thema, sondern urgesellschaftlich“. Und offenbar auch urnatürlich, wie er anhand eines Experiments mit zwei Kapuzineräffchen erläuterte, bei dem beiden eine Gurke gegeben wurde. Die beiden Äffchen waren zunächst zufrieden – man beobachtete jedoch, dass wenn man einem von ihnen eine Gurke, dem anderen aber süße Trauben gab, sich der erste Affe nicht mehr über seine Gurke freuen konnte, sondern nur noch die Trauben sah.
Bezieht man die Südhaftigkeit des Neids mit ein, wird klar: Er ist nicht nur „konstruktiv“, weil er anspornt, sondern destruktiv. Übersetzt heißt Neid, etwas mit Bosheit zu betrachten. Es könne durch Neid kein Wachstum entstehen, weil er viel eher einen Kampf gegeneinander anzettele, so die Botschaft des Abends. Hier wurde deutlich, dass er sich nicht aus dem durchaus produktiven Vergleich speist, sondern die Wurzel viel eher die Missgunst ist: Weil es nicht mehr um das Eigene geht, sondern um die Destruktion des Andern. Das Glück des Anderen wird zum eigenen Unglück. Und anders herum.
Hier wird deutlich, dass dem oft verharmlosten Neid keine Grenzen gesetzt sind in Richtung Zerstörung. Man brauche nicht mal einen realistischen Rahmen, so Mitterlehner. Die neidischen Gedanken können ins Maßlose ausschweifen und sich auf Menschen und ihre Besitzer oder ihre Möglichkeiten ausweiten, die man persönlich gar nicht kenne. Der Psychologe warnte, dass Neid und die Eifersucht oft in den Hass umschlagen. Dabei stellte er einen politischen Bezug her, dass außergesellschaftliche Gruppen, wenn nicht gerecht behandelt, eine Art „Neid“ auf diejenigen in der „Mitte“ verspüren, der sehr gefährlich sei.
Neidisch auf den Fußballtrainer
Simone Husemann warnte, dass diese „Wurzelsünde“, wie sie sie nannte, schleichend zum Vorschein komme. Dem Publikum wurde eine Art Spiegel der Reflektion vorgehalten, wobei Psychologe Mitterlehner einige Tarnungen des Neids entlarvte. So habe es häufig mit Neid zu tun, wenn Menschen beim Schauen eines Fußballspiels über die Entscheidungen des Trainers schimpften.
Nach dieser Diagnose wurde dem Publikum Medizin geboten. Mitterlehner empfahl einerseits das Löschen von Apps wie Instagram, die den Vergleich mit anderen nur fördern, und das Entschlacken in reizärmere Umgebungen, da man in der Großstadt in deutlich mehr Vergleichssituationen kommt als zum Beispiel beim Wandern. Zum anderen empfahl er das Streben nach übergesellschaftlich Idealen, die nur die Kirche bieten könne.
Zuletzt merkte Mitterlehner an, dass Jesus nie jemanden im Vergleich anspricht, wie beispielweise „Du, die Schönstgekleideteste“, sondern jeden ganz persönlich, wie „Du, die Tochter von Jairus“. Jesus ist also auch beim Thema Neid als Vorbild zu verstehen.
In der Veranstaltungsreihe folgen noch sechs weitere Todsünden, die immer donnerstags um 19.30 Uhr in St. Birgid (Birgidstraße 2A, 65191) diskutiert werden. Am 12. Oktober wird die ebenfalls recht aktuelle Habgier in den Fokus gerückt. Anmerkung: Die letzte Todsünde Völlerei muss an einem Mittwoch, den 22. November, stattfinden.